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Nr. 043 - 6 Jahre, 3 Monate, 7 Tage

 

Es war ein beunruhigendes Gefühl... das Kommandozentrum der Voyager in einem solchen Zustand vorzufinden: verlassen, erhellt in matt gelben Notlicht, die Terminals waren nur schemenhaft wahrnehmbar... Vielleicht wäre es besser, die Brücke so in Erinnerung zu behalten, wie ich sie 6 Jahre, 2 Monate und 11 Tage lang ununterbrochen erlebt habe.

Damals war alles so selbstverständlich... Wenn ich über meine Schulter blickte, konnte ich Harry und Tuvok bei ihrer Arbeit beobachten... Nun sah ich an dieser Stelle nur ein paar verbliebene Relais und Kabel, da die Terminals entfernt wurden um kleineren Frachtschiffen eingebaut zu werden. Wenn ich nach vorn blickte, sah ich einen Bildschirm mit tausenden von Sternen, die durch die Warpgeschwindigkeit weisse Streifen in der Schwärze des Alls hinterließen... und ich sah Tom, wie er mich aus den Augenwinkeln mit einem verschmitzten Grinsen beobachtete.  Jetzt entdeckte ich keine Sterne mehr und auch nicht Tom - ich nahm nur ein verlassenes, kaltes Raumdock wahr, in dem noch weitere Schiffe älteren Typs standen, um auf ihre Verschrottung zu warten - wie die Voyager...

Ich trat näher an das Sichtfenster heran, um einen besseren Blick über das Dock zu erhaschen. Meine Schritte hallten durch den unpersönlichen, leeren Raum. Ich war allein, allein auf der Voyager - meinem Schiff - um mich von ihr zu verabschieden. Tuvok hatte nie nie den Drang der Menschen verstanden, sich an leblose Dinge wie ein Raumschiff zu binden. Ich bin sicher, er würde eine Augenbraue hochziehen, wenn er mich hier sähe.

Ich drehte mich wieder um und setzte mich auf meinen alten Kommandostuhl. Er war schon vollkommen verstaubt und abgenutzt - in so kurzer Zeit. Es kam mir seltsam vor, wenn ich nach links blickte. Normalerweise sah ich dann Chakotay's lächelndes Gesicht, eine aufmunternde Geste von ihm oder einen besorgten Blick. Nun war sein Stuhl leer... leer, genauso wie der Platz in meinem Herzen, der eigentlich für ihn bestimmt war. Als ich das letzte Mal in diese Richtung geschaut hatte, flogen wir durch dieses stabile Wurmloch, welches uns in den Alpha Quadranten führte. Ich kann mich noch ganz genau an meine seltsame Stimmung erinnern, denn wir wussten nicht, was uns in der Heimat erwarten würde. Was war mit der Föderation geschehen - hatte sie sich gegen das Domion behauptet? Was würde den Marquisaden widerfahren? Wie würde die Sternenflotte auf Seven und Neelix reagieren? Welche Auswirkungen würde unsere Rückkehr auf meine Beziehung zu Chakotay haben? All das waren Fragen, die ich während unserer 6 Jahre, 2 Monate und 11 Tage im Delta Quadranten stets verdrängt hatte. Ich sah immer nur die Heimat, doch nie die damit verbundenen Konsequenzen. In Chakotay's Gesicht konnte ich die selbe Unsicherheit, dieses unbestimmbare Gefühl - eine Mischung aus Freude und Angst - erkennen. Seine Augen schienen mich förmlich zu fragen: "Was nun?" Ich bildete mir ein, dass seine Hand die meine streifte. Doch ergreifen tat er sie nicht. Resigniert zog er sie zurück, als ein Funkspruch von Admiral Paris die Voyager erreichte. Und dann ging alles ganz schnell: Unsere Ankunft im Alpha Quadranten, die überschwengliche Begrüssung, Paraden, Feuerwerke, festliche Reden von irgendwelchen hohen Tieren der Sternenflotte... Da blieb keine Zeit mehr für eine Aussprache zwischen uns.

Und dann kam dieser schicksalhafte Tag auf der Mc Kinley Station, genau 6 Jahre, 3 Monate und 7 Tage nachdem wir uns das erste Mal begegnet waren. Man hatte mir gerade mitgeteilt, dass das Programm des Doktors überarbeitet worden war. Somit hatte er seine Persönlichkeit verloren. All die gemeinsamen Erfahrungen und Erinnerungen im Delta Quadranten, die ihn zu einem einzigartigen Individuum  gemacht hatten, waren mit einem Handgriff ausgelöscht worden. Ich war so durcheinander, dass ich die ganze Situation gar nicht richtig wahrnahm: Dieses Klischee - eine Weggablung - die eine Richtung für Chakotay, die andere Richtung für mich.
"Hier trennen sich unsere Wege, Commander." habe ich zu ihm gesagt, warum weiß ich immer noch nicht. Es muss so kalt und abweisend geklungen haben. Ich habe ihn wieder von mir fortgestoßen, diese schützende Mauer um mich aufgebaut - wie ein Reflex, der meinen Status als unnahbarer Sternenflottencaptain schützen sollte. Warum dieser Reflex, diese Mauer noch existierten und ich sie einfach nicht zerstören konnte, war mir unbegreiflich - jetzt da Sternenflottenprotokolle nicht mehr zwischen uns standen, es keine Crew gab, die in die Heimat geführt werden musste. Ich handelte stets berechnend, wusste genau was ich tat und mit welchen Folgen ich zu rechnen hatte, nur in diesem Moment nicht - dieser Moment war gekennzeichnet durch meine verdammte Gewohnheit - oder vielleicht auch meiner Angst, Gefühle zu zeigen...
Mit einer traurigen Mine antwortete er "Ja...". Instinktiv umarmte ich meinen ehemaligen Ersten Offizier, trennte mich aber dann von ihm und ging meines Weges. Ich spürte seine Blicke in meinem Rücken, doch erst als sich die Tür hinter mir schloss, wurde mir bewusst, dass ich ihn vielleicht lange Zeit nicht mehr wiedersehe. Ich wollte zurückrennen, doch ich tat es nicht; und dafür könnte ich mich ohrfeigen.

Erst ab diesem Zeitpunkt wurde ich mir meiner Einsamkeit bewusst, nach 6 Jahren, 3 Monaten und 7 gemeinsamen Tagen. Ich hatte niemanden, zu den ich hätte gehen können - zu Mark etwa? Wie lächerlich... Er hatte es sich schon längst in unserer ehemaligen gemeinsamen Wohnung mit seiner jetzigen Frau gemütlich gemacht. Ich konnte da nicht einfach reinschneien und sagen: "Hallo! Da bin ich wieder!" Er hätte   zwar nichts dagegen gehabt, wenn ich für ein paar Tage bei ihm eingezogen wäre, bis ich etwas eigenes gefunden hätte. Doch schon allein der Gedanke daran bereitete mir Magenkrämpfe - zu sehen, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, ohne unsere Strandung im Delta Quadranten.
Meine Mutter war gestorben während unseres Aufenthaltes auf der anderen Seite der Galaxie - ich hatte nur noch meine Schwester Phoebe, die ich aber nicht mit meinen Problemen belasten wollte. Sie hatte schon genug mit ihrem Mann und ihrem einjährigen Sohn zu tun.

Ich wohnte nun im Haus meiner Mutter, eine wunderschöne Villa inmitten der idyllischen Landschaft von Indiana... ein Haus, welches für eine 4 köpfige Familie zu groß wäre. Die menschenleeren Räume vermitteln mir die größte Einsamkeit, die ich je erlebt habe. Einsamkeit - eigentlich müsste ich ja daran gewöhnt sein. Auf der Voyager war ich auch in einem gewissen Sinne einsam. Mein privater Kontakt zu der Crew war nie sonderlich groß. Sicherlich hatten wir auf den Parties Spaß, haben gemeinsam gelacht, doch eine richtig enge Beziehung hatte ich nur zu Chakotay. Trotzdem fühlte ich mich immer als ein Teil dieser Gemeinschaft, obwohl ich wegen meines Postens ein wenig im Abseits stand. Ich vermisste dieses gemeinschaftliche Gefühl. Klar, ich wusste, dass jeder irgendwann wieder seine eigenen Wege gehen würde, doch es stimmte mich traurig. Was mich tröstete war, dass mir nicht viel Zeit blieb, um über meine Einsamkeit nachzudenken -  Ich stand morgens auf und blickte auf einen Tag voller Termine und Verpflichtungen - Sternenflottenkonferenzen, Vorlesungen an der Akademie, Interviews... ich war wohl der berühmteste Captain der Sternenflotte. Jedoch gelang es mir nicht immer, mich von meinen trübsinnigen Gedanken abzulenken: Ich vermisste diese wunderbare Crew, die jedes Problem meisterte, doch am meisten vermisste ich meinen Ersten Offizier, meinen Vertrauten, meinen engsten Freund. Unser eher unfreiwilliges Leben auf der Voyager war wunderschön gewesen. Es wäre jedoch egoistisch von mir, die alten Zeiten zurückzuwünschen.

Und nun stand ich da, auf der Brücke der Voyager, meinem, nein unserem ehemaligen Schiff und schwelgte mich in Erinnerungen. In schönen und in weniger schönen ... die neue Erde, die Begegnung mit Spezies 8472, der Talenteabend... Doch plötzlich hörte ich das Hallen von Schritten... Ich drehte mich nicht um, denn ich wusste wer es war. Ich konnte ihn an seinem Schatten, der durch das matte Notlicht geschaffen wurde, erkennen. Mein Herz begann zu rasen - dies war definitiv meine allerletzte Chance, um meine Gefühle ihm gegenüber zu offenbaren - diesmal würde ich sie nicht vergeuden.

6 Jahre, 3 Monate und 7 Tage habe ich gebraucht, um zu verstehen, wieviel er mir bedeutete. 6 Jahre, 3 Monate und 7 Tage habe ich mich ständig vor meinen Gefühlen versteckt, 6 Jahre, 3 Monate und 7 Tage habe ich uns Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag leiden lassen - eine lange Zeit... Ich will nicht behaupten, dass es ein schwerwiegender Fehler war - nein, es war nur vergeudete Zeit, die das Unaufhaltsame herauszögerte. Ich war gekommen, um diesem Schiff auf Wiedersehen zu sagen - mit all den schönen Erinnerungen. Doch was ich fand war nicht nur ein Rückblick auf vergangene Jahre, Monate und Tage, sondern auch die Perspektive einer gemeinsamen Zukunft mit ihm.

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